Abstracts
24. April 2023
Claus Altmayer: Gibt es nur eine Deutschdidaktik? Zum Verhältnis von Deutsch als Erstsprache, Deutsch als Zweitsprache und Deutsch als Fremdsprache
Ausgehend von der im Titel angesprochenen Forderung von Claudio Nodari, wonach die bislang als getrennt geltenden Lernbereiche von Deutsch als Erst-, Zweit und Fremdsprache und insbesondere die darauf sich beziehenden Fachdidaktiken stärker zusammenarbeiten und perspektivisch zu einer gemeinsamen Deutschdidaktik zusammenwachsen sollten, stellt der Vortrag das Verhältnis der drei Lernbereiche und der darauf bezogenen Didaktiken und Disziplinen erneut zur Diskussion, bezieht dabei aber zusätzliche Aspekte mit ein, die bislang weniger Beachtung gefunden haben. Zum einen nämlich sollen die sprachideologischen Wissensordnungen sichtbar gemacht und diskutiert werden, die den (Fach-)Diskurs über diese Themen immer noch stark prägen, aber auch zu problematischen Implikationen führen und daher in noch radikalerer Weise in Frage gestellt werden müssen, als dies im bisherigen Diskurs der Fall ist. Und zum zweiten soll die bislang deutlich auf Sprache und Spracherwerb im engeren Sinn fokussierende Debatte um sprach-, bildungs- und fachpolitische Aspekte ergänzt werden, die möglicherweise auch gegen eine Integration von DaZ und DaF in eine übergreifende und gemeinsame Deutschdidaktik und – bei aller Notwendigkeit einer engeren Kooperation – doch eher für eine klare fachliche Trennung zwischen DaF/DaZ auf der einen und DaE auf der anderen Seite sprechen.
Jana Gamper: Was ist DaZ? Zur Entwicklung des 'Kindes der Praxis'
Unter dem Begriff Deutsch als Zweitsprache (DaZ) werden eine Vielzahl von Sprecher:innen mit unterschiedlichsten Sprachbiographien subsummiert: Neben neu zugewanderten Jugendlichen und Erwachsenen mit vergleichsweise spätem Erwerbsbeginn und kurzer Spracherwerbsdauer werden mit DaZ auch Kinder bezeichnet, deren Deutscherwerb um den dritten Geburtstag herum eingesetzt hat. Mitunter stellt DaZ in Kombination mit Begriffen wie ‚Migrationshintergrund‘ auch ein sekundäres Zuschreibungsmerkmal dar und fungiert dabei eher als Label denn als spracherwerbstheoretische Kategorisierung. Die oftmals als Problem benannte enorme Heterogenität von DaZ-Lerner:innen ist somit auch Resultat einer zunehmenden terminologischen Unschärfe und semantischen Vagheit, die mit dem Label DaZ einhergeht.
Der Vortrag zeichnet vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen die Entwicklung des Begriffs und der Forschungsdisziplin DaZ nach und möchte dabei die enge Verbindung des Fachs zu Migrationsbewegungen herausstellen. Auf der Basis dieser Analyse plädiert der Vortrag für eine (neue) Verengung des Begriffs und damit einhergehend für eine Re-Fokussierung von Forschungs- und Lehrschwerpunkten im Fach DaZ.
8. Mai 2023
Klaus-Börge Boeckmann: Deutsch lernen als ... Erstsprache – Zweitsprache – Fremdsprache Konvergenzen und Kontroversen
Der Vortrag wird zunächst den ursprünglichen Begriffsbedeutungen von Erstsprache, Zweitsprache und Fremdsprache nachspüren, die im Kontext von Mehrsprachigkeit jedoch immer unschärfer und fragwürdiger werden. Deshalb werden dann einige kritische Zugänge zu den Begrifflichkeiten dargestellt. In weiterer Folge sollen Tendenzen der Konvergenz zwischen den didaktischen Zugängen zum Deutschlernen in den verschiedenen Lehr- und Lernsituationen thematisiert werden, beispielsweise Parallelitäten zwischen sprachbewusstem Unterricht und content and language integrated learning (CLIL). Schließlich wird sich der Vortrag auch noch mit offenen Fragen und Diskrepanzen beschäftigen, die sich zwischen den verschiedenen Zugängen auftun.
Andrea Abel: DaE|Z|F durchleuchtet – am Beispiel Südtirols
Im Vortrag werden Schul- und Unterrichtsmodelle im Zusammenhang mit DaE, DaZ und DaF in mehrsprachigen Mehr- und Minderheitenkonstellationen beleuchtet und Bezüge zwischen dem lebensweltlichen und schulischen mehrsprachigen Alltag der Sprachhandelnden bzw. -lernenden hergestellt. Die Situation in Südtirol (Italien) dient als konkretes Beispiel dafür, unter der Berücksichtigung struktureller Bedingungen individuelle Konsequenzen im Hinblick auf die Wahl einzelner ein- oder mehrsprachiger Schul- bzw. Unterrichtsmodelle nachzuzeichnen und gleichzeitig die Unschärfe von Begriffen wie DaE, DaZ und DaF aufzuzeigen. Vor diesem Hintergrund werden abschließend Fragen zu Aspekten der Deutsch- und Mehrsprachigkeitsdidaktik, aber auch der Variation und Varietäten des Deutschen, auch migrationsbedingter, diskutiert.
15. Mai 2023
Andrea Daase: Was soll DaZ? Was macht DaZ? Kritische Reflexionen zu Möglichkeiten, Grenzen & Gefahren der Bezeichnung, Selbstverständnis und (zugeschriebenen) Aufgaben eines mit der sich verändernden Migrationsgesellschaft verwobenen Fachgebietes
Der Vortrag setzt sich mit der Frage auseinander, in welche unterschiedliche bis widersprüchliche Praktiken in der Migrationsgesellschaft der Begriff DaZ (Deutsch als Zweitsprache) im Laufe der Jahre eingebunden wurde. Ursprünglich insbesondere zur Abgrenzung von Deutsch als Fremdsprache (DaF) und zur Fokussierung von Besonderheiten der Sprachaneignung im Kontext von Migration sowie sich daraus ergebender didaktischer Implikationen in den Fachdiskurs eingebracht, wurde er in den letzten Jahrzehnten weiteren sowohl gesellschafts- als auch bildungspolitischen Diskursen und Praktiken unterstellt. Insbesondere auch angesichts der notwendigen Veränderungen unserer Migrationsgesellschaft auf dem Weg in eine postmigrantische Gesellschaft bedarf es nicht nur einer kritischen Reflexion dessen, was wir mit DaZ bezeichnen und was nicht, was der Begriff ermöglicht und wozu wir ihn noch brauchen, welche Gefahren dennoch bestehen, sondern auch der Frage, inwieweit die Bezeichnung des Faches oder Fachgebietes noch mit unserem Selbstverständnis in Einklang zu bringen ist.
Priscilla Layne: Multilingualismus im Unterricht am Beispiel von Texten Sharon Dodua Otoos
Im DaF-Unterricht werden Lernende selten mit Texten konfrontiert, die von nicht-weißen Autor*innen geschrieben wurden. Dies ist nicht nur ein Problem, weil es möglicherweise nicht-weiße Lerner*innen der deutschen Sprache und Kultur entfremdet, sondern auch, weil es die vielfältige ethnische Zusammensetzung der Deutschsprachigen nicht ehrlich widerspiegelt. Was würde es demnach bedeuten, im DaF-Unterricht häufiger mit Texten von Schwarzen Autor*innen zu arbeiten? Und könnten uns solche Texte dabei helfen, die Unterteilung des Faches in DaF, DaZ und DaE zu hinterfragen? In der Realität ist Deutschland ein Land der Migration. Viele in Deutschland lebende Menschen haben einen Migrationshintergrund. Das kann heißen, dass sie Deutsch als Zweitsprache gelernt haben oder zweisprachig aufgewachsen sind. Passt ein Mensch, der in Deutschland zweisprachig aufwächst, wie das für viele Schwarze Deutsche gilt, in eine dieser Kategorien DaF, DaZ und DaE? Und wie unterscheiden wir den Stoff für DaF, DaZ und DaE? In DaZ wird der Schwerpunkt auf den Alltag gelegt und sich nicht oder nur am Rande mit Ästhetik auseinandergesetzt. Aber wenn das so ist, enthalten wir DaZ-Lerner*innen dann nicht die Möglichkeit vor, von literarischen Texten und der Ästhetik zu lernen? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, schlage ich vor, Texte von verschiedenen Schwarzen Autor*innen zu didaktisieren, um zu zeigen, inwiefern sie für alle drei Fächer hilfreich sein könnten. In meinem Vortrag werde ich die Texte von Sharon Dodua Otoo als Beispiel nehmen. Otoo ist eine in England geborene Schwarze Autorin ghanaiascher Abstammung. Sie hat als Studentin Deutsch gelernt und lebt seit 2006 in Berlin. Anfangs schrieb sie Texte auf Englisch, die sie ins Deutsche übersetzen ließ. 2016 gewann sie den Ingeborg-Bachmann-Preis für eine Kurzgeschichte, die sie auf Deutsch schrieb. Als eine Autorin, für die Deutsch eine Fremdsprache war, stellt Otoo ein Beispiel dafür da, wie Deutschlernende sich in der deutschen Sprache wohl genug fühlen können, um nicht nur in Deutschland zu leben, sondern es auch zu wagen, als Nicht-Muttersprachler*innen Literatur auf Deutsch zu verfassen. Otoo behauptet, dass sie, um den Mut zu haben, Literatur auf Deutsch zu schreiben, lernen musste, nicht zu versuchen, wie eine Muttersprachlerin zu schreiben. Vielmehr ergriff sie die Gelegenheit, die Stärke ihrer Mehrsprachigkeit zu nutzen und mit ihr die deutsche Sprache zu verändern. Außerdem setzt sich Otoo in ihren nicht-literarischen Texten mit Problemen der Marginalisierung und des Rassismus auseinander, die vielen Deutschlernenden sehr vertraut sind. In meinem Vortrag werde ich einige Texte Otoos analysieren, um zu demonstrieren, inwiefern es hilfreich sein kann, Schüler*innen nicht entsprechend der Kategorien DaF, DaZ und DaE zu trennen, sondern ihnen gemeinsam einen Text zu geben, von dem und mit dem alle etwas lernen können, unabhängig davon, wie sie sich selbst positionieren oder von anderen positioniert werden.
22. Mai 2023
Kirsten Schindler: Schreiben in Erst-, Zweit- und anderen Sprachen
In der Deutschdidaktik wird die Forschung zum Kompetenzbereich „Texte schreiben“ häufig allein aus monolingualer, Deutsch als Erstsprache-Perspektive diskutiert. Dies wird aber weder der Situation an deutschen Schulen noch dem Gegenstand selbst gerecht. Genauer gefragt werden muss vielmehr, wann und wie die Ausgangssprache einerseits und die Zielsprache andererseits für den Schreibprozess im engeren Sinne von Bedeutung sind bzw. wann sie keine Rolle spielen. Außerdem: Schreiben findet zunehmend als digitales Schreiben statt. Schreiber:innen können vielfältige digitale Tools, z.B. Übersetzungstools oder textgenerierende Tools, nutzen, um ihren Text zu verfassen. Es ist denkbar, dass die Sprache, die sie dafür nutzen, zunehmend irrelevant wird, da der Computer hier zum kollaborativen Schreibpartner avanciert.
Elvira Topalović: Sprachlich-ästhetisches Lernen: Multilingual, multimedial, multimodal?
Sprachen und Sprachvarietäten sind Teil unserer Identität. Sie sind konstitutiv in einer globalisierten, digitalen, vor allem mehrsprachigen Welt. Und trotzdem wird innere und äußere Mehrsprachigkeit in Bildungskontexten nicht selten vernachlässigt, auch weil sie als schwer operationalisierbar gilt. Ausgehend von einem weiten Begriff sprachlich-ästhetischer Bildung, dem Spracherwerb als Kulturerwerb zugrunde liegt, und empirischen Daten zu heterogenen Literacy-Erfahrungen von Lernenden, werden integrativ-inklusive Lernangebote – sowohl analoge als auch digitale – diskutiert, die die Weiterentwicklung von Sprach(en)repertoires und Sprach(en)bewusstheit im Deutschunterricht zum Ziel haben. Dabei wird konsequent eine Könnensperspektive eingenommen, die vom Wissen und Können, also Kompetenzen, der Lernenden ausgeht (und nicht „Schwächen“) und sich fragt, wie sich Sprachhandlungsfähigkeiten in Lehr-Lern-Prozessen weiterentwickeln können. Denn: Schulen in demokratischen Gesellschaften sollten Chancengleichheit anstreben, Sprachbildung ist auch Demokratiebildung.
5. Juni 2023
Marion Döll: Geschichte, aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen der DaS-Diagnostik
Sprachliche Fähigkeiten werden aus einer Vielzahl von Gründen diagnostiziert. In pädagogischen Handlungsfeldern werden Sprachdiagnosen v.a. als Grundlage für Maßnahmen der inneren und äußeren Differenzierung von Unterricht durchgeführt. Im Zusammenhang mit migrationsbedingter Mehrsprachigkeit werden in den amtlich deutschsprachigen Ländern seit den 1970er Jahren zu diesen Zwecken individuelle Sprachdiagnosen gestellt. In meinem Vortrag möchte ich die Entwicklungslinien seit dieser Zeit bis in die Gegenwart nachzeichnen und dabei aktuelle Herausforderungen und grundlegende Dilemmata herausarbeiten. Da die Entwicklung, Nutzung und Diskussion sprachdiagnostischer Verfahren an der Schnittstelle von Sprach- und Bildungswissenschaft sowie im Spannungsfeld von Bildungswissenschaft und -politik stattfindet, werde ich dabei dezidiert auf die jeweiligen Perspektiven eingehen und sie zueinander ins Verhältnis setzen.
Thomas Studer: Warum die Neuschöpfung «DaS» sinnvoll sein, aber erheblichen Flurschaden anrichten könnte. Ein Blick zurück nach vorn aus der Perspektive des Prüfens und Testens
Die Szene ist in Bewegung, der Ton teils schärfer als gewohnt. Vom «Eindringen» von DaF-Tests in DaZ-Kontexte ist die Rede (Zabel et al. 2022, 10), angemeldet werden erhebliche «Zweifel an der (Konstrukt-)Validität» eines selektiven Testverfahrens in Deutschförderklassen (Glaboniat 2020, 87), der DaF-/DaZ-Forschung wird vorgehalten, neuere Modelle fremdsprachenspezifischer Testforschung «nicht genügend wahrzunehmen» (Tschirner & Geist 2023, 18).
In meinem Beitrag möchte ich einerseits die aktuelle Debatte zur Kompetenzdiagnostik aufgreifen und etwas ordnen, um (mögliche) Synergien und (berechtigte) Unterschiede zwischen Beurteilungsverfahren in DaF und DaZ – in einem Fall auch zwischen DaZ und DaE – herauszuarbeiten. Andererseits soll anhand des Schweizer Lernerkorpus (SWIKO) diskutiert werden, wie Lernertexte, in denen sich individuelle mehrsprachige Repertoires spiegeln, in Bezug auf linguistische Kompetenzen und nach adaptierten GER-Niveaus bewertet werden können. Schliesslich sollen Lösungsansätze angedacht werden, die in Richtung Lokalisierung von Beurteilungsverfahren (Dimova 2020) für Deutsch im Kontext der Mehrsprachigkeit gehen.
12. Juni 2023
Heidi Rösch: Doing Literature in der Postmigration
Literarästhetisches Lernen basiert zunächst auf Prinzipien, die in allen sprachlichen Lehr-Lern-Settings gleich sind, weil es darum geht, zwischen Literatur (aller Präsentationsformen) und Rezipierenden zu (ver)mitteln. Postmigration ist in diesem Zusammenhang auf der Ebene der Literatur, der Didaktik und nach meinem Verständnis erst nachgeordnet an der konkreten Lerngruppe zu orientieren. Deshalb werde ich an ausgewählten Werken zeigen, was postmigrantische Literatur ausmacht, wie Literaturdidaktik postmigrantisch gestaltet werden kann und wie dies in konkreten Sprach-Lehr-Lernsettings umgesetzt werden kann. Da dabei Mehrsprachigkeit und Translingualität eine große Rolle spielen, ist dies auch ein Beitrag zur Diskussion um das neue Konzept “Deutsch als Sprache(n)” (DaS).
Camilla Badstübner-Kizik: Ästhetisches und literarisches Lernen (auf Deutsch) auch aus der Ferne? Ja, aber …
Zunächst wird an ausgewählten Beispielen das komplexe und heterogene Bedingungsgefüge beleuchtet, in dem DaF-Lernende und Lehrende agieren und das sich in vielen Punkten von dem für DaZ und DaE unterscheidet. Gerade auch für den Bereich ästhetischen und literarischen Lernens in der Sprache Deutsch spielen die spezifischen Prägungen, Möglichkeiten, Erwartungen und Interessen von Lernenden und Lehrenden vor Ort eine entscheidende Rolle – sowohl in Hinsicht auf die Auswahl möglicher Lernziele, Inhalte und Materialien als auch mit Bezug auf die Wahl eines als angemessen und zielführend eingeschätzten methodischen Instrumentariums. Trotz vieler Berührungspunkte und Konvergenzen stellen sich aus der Sicht der Vortragenden die Vermittlungs- und Aneignungsgefüge für DaF, DaZ und DaE als zu heterogen dar, um auf eine Differenzierung zwischen DaE, DaZ und DaF völlig zu verzichten.